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„NRW.Literatur: “Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter

„NRW.Literatur: “Unser Deutschlandmärchen“ von Dinçer Güçyeter

Preisgekrönter Autor berichtet von der Ankunft der ersten „Gastarbeiter“-Generation in Deutschland 

Am 02.10.2024 fand in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union die moderierte Lesung „NRW.Literatur: Unser Deutschlandmärchen“ des Verlegers und Schriftstellers Dinçer Güçyeter statt. Die Lesung wurde von der aktuellen Vorsitzenden der Jury für den Preis der Leipziger Buchmesse, der Literaturkritikerin Insa Wilke, moderiert. Neben Auszügen aus seinem preisgekrönten Roman präsentierte der Autor auch Ausschnitte seiner anderen Werke und sprach mit Wilke und dem Publikum über die autobiographische und historische Einordnung der Texte sowie ihre Bedeutung im aktuellen gesellschaftlichen und politischen Migrations- und Integrationsdiskurs. 

Zum Auftakt hob der Leiter der Landesvertretung, Rainer Steffens, Güçyeters Werk als Erfolgsgeschichte aus NRW im Bereich Literatur und Kultur hervor. 

„Unser Deutschlandmärchen“, für dessen Erstellung Güçyeter ein Arbeitsstipendium für Autorinnen und Autoren des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen erhielt, wurde 2023 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. 2024 erhielt er den Else-Lasker-Schüler-Preis. Der Roman erzählt von der Ankunft der ersten „Gastarbeiter“-Generation in Deutschland und von Hürden der Integration in einer Kleinstadt am Niederrhein. Der Roman thematisiert Fragen der Integration, des Rassismus, der Geschlechtergerechtigkeit und der Vielfalt unserer heutigen Gesellschaft. Vor allem regt er zum Austausch über die Einwanderergesellschaft in Nordrhein-Westfalen an. 

In der moderierten Lesung wechselten Güçyeter und Wilke immer wieder fließend zwischen kurzen Auszügen aus Güçyeters Werken und – oft sehr persönlichen – Einordnungen dieser in die Biographie des Autors und die Zeitgeschichte. Dabei stand „Unser Deutschlandmärchen“ zwar im Mittelpunkt, wurde aber kontextualisiert und ergänzt durch Rezitationen aus früheren Werken wie „Mein Prinz, ich bin das Ghetto“ und „Anatolien Blues“, sowie bisher unveröffentlichte Texte. 

Güçyeter, der sich selbst eher als Lyriker denn als Romanautor einordnet, sagte von sich selbst, er habe sein ganzes Leben damit verbracht, seiner Mutter zu beweisen, dass man mit Literatur Geld verdienen kann. Sein Anliegen, welches er mit seinem 2012 gegründeten Verlag ELIF vorantreibt, sei, den Ungefragten, Ungesehenen und Ungehörten eine Stimme zu geben und zu denen zu sprechen, mit denen nicht gesprochen wird. In den vorgetragenen Auszügen dieses Abends geschah das vor allem in Gestalt von Güçyeters Eltern, Fatma und Yilmaz. Von den prägenden Erfahrungen der Mutter, Fatma, handelte unter anderem der Text „Fatma ist mein Name“, welcher aus Sicht der jungen Frau vom Tod des Vaters, dem Umzug vom Dorf im türkischen Hinterland in die Stadt und schließlich von der Heiratsvermittlung an einen „Verehrer aus Deutschland“ und der Ankunft in Köln 1965 berichtete. 

Im Gespräch mit Insa Wilke arbeitete Güçyeter einige der Kernthemen des Buches heraus: einerseits die Erfahrungen von Entwurzelung und Fremdartigkeit, aber auch die Träume und Emanzipation der Frauen der Generation seiner Mutter; andererseits die Konflikte zwischen den Frauen und ihren Männern und Söhnen, welche seine persönliche Entwicklung prägen. Immer wieder geht es in seinen Texten um die Last der Erwartungen der Mutter an den Sohn, der die Enttäuschung durch den Vater wiedergutmachen soll, nachdem dieser sich den an ihn gerichteten kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Erwartungen entzogen hatte.

Mit den abschließenden Texten „Das Erbe“ und „Die Versöhnung“ schloss die Lesung mit der Anerkennung der Last, welche der Vater dem Sohn aufbürdet wie eine „Fracht aus Stein“ und der Erkenntnis Fatmas, dass ihre alte Heimat, die Türkei, nach ihrer Rückkehr ihre neue Fremde geworden ist. Sie endete mit dem Wunsch, dass „zukünftige Generationen wieder Wurzeln schlagen mögen“. 

„Unser Deutschlandmärchen“ wird zurzeit in 13 Sprachen übersetzt und an mehreren deutschen Theatern für die Bühne aufbereitet. 

Kontakt

Dr. Kristina Wojcik

kristina.wojcik[at]lv-eu.nrw.de (kristina[dot]wojcik[at]lv-eu[dot]nrw[dot]de)

Kurzwahl 871-737