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„Erweiterung und Reform der EU – aber wie? Brauchen wir eine neue Architektur der EU?“

„Erweiterung und Reform der EU – aber wie? Brauchen wir eine neue Architektur der EU?“

Debatte über Umfang und Möglichkeiten und Handlungsfähigkeit der EU in der Landesvertretung 

Die Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union veranstaltete am 20.02.2024 eine Expertendiskussion zum Thema: „Erweiterung und Reform der EU – aber wie? Brauchen wir eine neue Architektur der EU?“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „NRWinEU:Spotlight“. 

In der Begrüßung skizzierte der Leiter der LV Rainer Steffens die Entwicklung der Debatte über EU-Erweiterung und Reform von den 1990er bis heute. Moderatorin Katrin Pribyl, EU-Korrespondentin u.a. für die Aachener Zeitung, eröffnete die Diskussion mit der Frage, wie die EU sich von innen verändern müsse, um weitere Staaten aufzunehmen und dennoch handlungsfähig bleiben zu können.

Thomas Westphal, Generaldirektor Wirtschaft und Finanzen beim Rat der Europäischen Union, umriss zunächst den Rahmen, in dem die EU ihre Erweiterung diskutiere. Er verwies auf Art. 49 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), der den Beitritt zur Union regelt, sowie die Kopenhagener Kriterien von 1993, die die Beitrittsbedingungen und Reformzeile für EU-Beitrittskandidaten formulieren. Zudem unterstrich Westphal die sog. Absorptionsfähigkeit der EU, die die Fähigkeit der EU bezeichne, neue Mitglieder aufzunehmen, sowie die Strategische Agenda Charles Michels, die die Prüfung des Erweiterungsprozesses und die Aufnahmefähigkeit der EU vorsehe. 

Prof. Dr. Christian Calliess LL.M., Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität Berlin, kritisierte, dass notwendige Reformen zur Stärkung der Handlungsfähigkeit der EU bisher unzureichend umgesetzt worden seien. Er warnte vor einer voranschreitenden Erweiterung ohne vorherige Reform, was die Handlungsfähigkeit der EU beeinträchtigen könne. Calliess betonte die Herausforderung, dass das beschlossene EU-Recht in der Praxis umgesetzt werden müsse. Er verwies auf die Blockadehaltung mancher Mitgliedstaaten bei Reformversuchen. Als Reaktion hierauf empfahl er, bestehende Lösungsansätze in den Verträgen zu nutzen. So habe der Vertrag von Lissabon sog. Passerelle- oder Brückenklauseln eingeführt, die es ohne formale Vertragsänderungen ermöglichen würden, von der Einstimmigkeitsabstimmung im Rat zur Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit überzugehen. Allgemein ermögliche Art. 48 Abs. 7 EUV eine solche vereinfachte Änderung von Vorschriften im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (AEUV) und im EU-Vertrag. Die Mitgliedstaaten sollten das Potenzial der Brückenklausel ausschöpfen. 

Hinsichtlich der zukünftigen Architektur Europas präsentierte Calliess das Modell einer durch den Binnenmarkt definierten Kernunion plus Pioniergruppen. In deren Mittelpunkt befinde sich ein innerer Kreis („Kerneuropa“) von Pionier-Mitgliedstaaten, die eine „Politische Union“ verwirklichen wollen. Der Kern würde Aufgaben und Kompetenzen der ihn umgebenden Kreise teilen, die von einem supranationalen Binnenmarkt und Zollunion bis hin zu intergouvernementaler Kooperation reichen könnten. So könne die EU mittels „Coalitions of the Willing and Able“ flexibler und dynamischer gestaltet werden. Beitrittskandidaten als auch einige Mitgliedstaaten würden derzeit jedoch befürchten, dass dies zu einer Schaffung von „Europäern 2. Klasse“ führen könnte, was aber nicht der Fall sei.

Westphal skizzierte mögliche Auswirkungen einer Erweiterung der EU auf den EU-Haushalt. Bei einer Erweiterung um die aktuellen Beitrittskandidaten würde laut internen Berechnungen die Bevölkerung der EU um 23,5% wachsen. Die Wirtschaftsleistung würde sich jedoch nur um 2,5% erhöhen, was eine Haushaltslücke von 21% verursachen würde. Er betonte vor dem Hintergrund ebenfalls die Notwendigkeit einer Modernisierung des EU-Haushalts, auch um auf Politikfelder wie Umwelt-, Migrations- und Verteidigungsherausforderungen angemessen reagieren zu können. Zudem stellte er klar, dass seine und die allgemeine Ansicht des Rates sei, dass Beitritte neuer Staaten auch ohne Änderungen der Verträge machbar seien. 

Kontakt Vertretung des Landes bei der EU

Dr. Kristina Wojcik

kristina.wojcik[at]lv-eu.nrw.de (kristina[dot]wojcik[at]lv-eu[dot]nrw[dot]de)

Kurzwahl 871-737